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EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker (re.) wollte Viktor Orbán bei dessen Brüssel-Besuch Ende Jänner nicht die alleinige Bühne überlassen. Zu Hause hat der Premier aber ein weit größeres Problem.

Foto: EPA / OLIVIER HOSLET

Budapest – Das dürre Kommuniqué poppte letzten Freitag kurz nach Mittag auf der Webseite des ungarischen Regierungssprachrohrs Magyar Nemzet auf und wirkte wie ein Sprengsatz. Gábor Liszkay, Chefredakteur des Blattes und Intendant des Fernsehsenders Hír TV, Ottó Gajdics, Intendant von Lánchíd Rádió (Radio Kettenbrücke) und weitere Top-Manager von rechten Medien gaben ihren Rücktritt "aus Gewissensgründen" bekannt.

Sie leiteten Medien-Unternehmen, die einerseits der Regierung des Nationalpopulisten Viktor Orbán dienen, andererseits dem Oligarchen Lájós Simicska gehören. Orbán und Simicska waren einst enge Gefährten. Zuletzt hatten sie sich aber zunehmend entfremdet. Simicska-Medien hatten begonnen, die Orbán-Regierung punktuell zu kritisieren, den Premier selbst aber weiter unterstützt. Offenbar gab Simicska nun Weisung, Orbán nicht mehr zu schonen. Vor die Wahl gestellt, liefen die Medien-Chefs zu Orbán über.

Obszöne Beschimpfungen

Simicska war außer sich vor Wut. Der medienscheue Manager, der bis zu diesem Freitag noch kein einziges Interview gegeben hatte, schüttete jedem Journalisten, der ihn anrief, sein Herz aus. Dem Choleriker entschlüpften unflätigste Beschimpfungen. "Orbán ist mir in den Rücken gefallen", tobte er, seinen früheren Freund mit dem obszönen Ausdruck "geci" – einem ungarischen Fäkalwort für Ejakulat – bedenkend. Nun herrsche Krieg, in dem der eine oder andere von ihnen fallen werde. Falls es ihn treffe, so Simicska, könne es auch sein, dass "man mich liquidiert, mich erschießt, ich unter ein Auto komme".

Simicska und Orbán kennen sich seit 35 Jahren, seit der gemeinsamen Gymnasialzeit in Székesfehérvár. Die beiden haben die heutige Regierungspartei Fidesz (Bund Junger Demokraten) aufgebaut. Orbán brachte das Charisma mit, Machtinstinkt und Populismus. Simicska den Geschäftssinn, die Ambition, auch mit fragwürdigen Methoden große Mengen Geldes aufzutreiben. Daneben baute er ein riesiges Geschäftsimperium auf. Seine Medien-Holding half entscheidend mit, dass Orbán acht Jahre nach seiner Wahlniederlage 2002 wieder an die Macht zurückkehrte.

Doch der einstige Schulfreund wurde dem Premier zu mächtig. Nach der Wiederwahl 2014 ließ er ihn nicht mehr an die Futtertröge der staatlichen Aufträge. Seine Medien drohte er mit höheren Steuern zu belasten. Der Groll in Simicska wuchs. Die Versuchung lag nahe, seine Medienmacht gegen Orbán zu wenden.

Schmutzige Geheimnisse

Ein Kampf der Giganten zeichnet sich ab – mit ungleichen Voraussetzungen. Orbán kontrolliert die staatlichen Machtinstrumente: Polizei, Staatsanwaltschaft, Finanzbehörde. Simicska wiederum dürfte sich als jahrzehntelanger Finanzier im Besitz vieler schmutziger Geheimnisse Orbáns befinden. Medien-Wissenschafterin Mária Vásárhely verglich Simicska schon im Sommer mit dem russischen Oligarchen Michail Chodorkowski. Diesen hatte der russische Präsident Wladimir Putin zehn Jahre im Straflager schmoren lassen. Am 17. Februar kommt Putin zum Staasbesuch. Simicska wiederum ging nach dem dramatischen Freitag auf Skiurlaub nach Österreich. (Gregor Mayer, DER STANDARD, 9.2.2015)